Risiko by Kopetzky Steffen

Risiko by Kopetzky Steffen

Autor:Kopetzky, Steffen
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Klett-Cotta
veröffentlicht: 2015-01-01T05:00:00+00:00


23

Vieles kam in Gang. Lange vorbereitet und geplant, begannen sich die Truppen des Osmanischen Reichs auf die künftigen Fronten zuzubewegen: Ägypten und Südmesopotamien gegen England, und oben im Norden, von der Festung Erzurum ausgehend, gegen das Russische Reich. Doch waren diese Vorgänge, Truppenverschiebungen, Schiffstransporte, nächtlichen Güterzüge voller Soldaten, Waffen und Lebensmittel, die sich in enervierender Langsamkeit über den schließlich vom großen Krieg erfassten mittelsüdöstlichen Spielplan bewegten, nur der eine Aspekt dieser Mechanik. Etwas anderes war da noch ins Werk gesetzt worden, das wie ein Dschinn, ein böser Wüstenteufel, ausgerechnet dort begann, wo der christliche Westen seine seit Jahrhunderten unangefochtene Bastion besessen hatte. Durch die spätherbstlich unwirtlichen Straßen Peras begann sich ein tatenzeugendes Gerücht auszubreiten, niemand konnte sagen, wie es angefangen hatte. Schaufenster von Niederlassungen französischer Banken einzuschlagen war das eine – Peras unwürdig, zweifellos. Aber wer war auf den Gedanken gekommen, der von Sultan Kalif Mehmed Resa Pascha, gegürtet mit dem Schwert des Propheten, verkündete Heilige Krieg könnte sich auch gegen die Christen Konstantinopels richten, die womöglich schon vor der Ankunft der Osmanen hier gelebt hatten, wie die Griechen oder auch diejenigen, die Sultan Mehmed der Eroberer zur Besiedelung der Stadt hierhergeholt hatte – die Armenier?

An jenem zugigen Novembertag, als am frühen Nachmittag, kurz nach Asr und seinen so lange und vielstimmig wie nie erklungenen hundertkehligen Allahu Akbars, schwarzmeerkalter Regen einsetzte und die Straßen Konstantinopels und seiner Vorstädte schwer und schmutzig zu werden begannen, erwachte jener teuflische Keim zum Leben, der unter den alten Osmanen keine Ahnung erhalten hatte – die glorreiche türkische Armee bekam eine Fratze.

Auch das Kalifat erhielt einen düsteren Schlag. Denn jene Vereinzelten, die nach Einfall der Dämmerung wie Räuberbanden begannen, in von Griechen, Juden und Armeniern bewohnten Vierteln der Stadt zu plündern, Feuer zu legen und Angst und Schrecken zu verbreiten, hatten Mehmed Resas Worte gar nicht gehört. Doch die geheime Botschaft der Jungtürken und ihrer deutschen Generäle hatten sie wohl vernommen. Sie waren eine Vorhut.

Arjona Dushek hörte am späten Abend dieses Tages gegen neun Uhr, wie die Mutter des kleinen Levon die Straße auf und ab ging und nach ihrem Sohn suchte, der nicht nach Hause gekommen war. Arjona öffnete das Fenster, beugte sich hinaus und rief Levons Mutter zu, dass sie gleich hinunterkommen wolle, um ihr suchen zu helfen.

Das Anwesen der Tavanians, ehrliche Kaufleuten seit dreihundert Jahren, erstreckte sich über mehrere große Häuser, die im Laufe der Jahrhunderte verbunden worden waren und sowohl Wohnung als auch Geschäft beherbergten. Arjonas Zimmer lag im dritten Stock.

Sie eilte die enge Treppe hinunter. Erst als sie unten ankam, bemerkte sie, dass im Innenhof die Gaslaternen angezündet waren, und nicht nur Levons Mutter trotz Regen draußen unterwegs war. Die zwei Fuhrknechte hatten Knüppel in den Händen und riefen sich in ihrem unverständlichem Kutscher-Armenisch etwas zu. Aus den Augenwinkeln sah Arjona, wie sich Herr Tavanian im hinteren Teil des Geschäfts mit seinem Buchhalter besprach. In fast allen Fenstern, die auf den Innenhof gingen, brannte Licht, während die Fenster zur Straße dunkel waren, so wie bei den anderen Häusern auch. In einiger Entfernung vernahm Arjona Rufe, wild durcheinander, irgendein Unglück musste passiert sein.



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